Pfeifkonzerte sind ja normalerweise eher ein schlechtes Zeichen. Eine Menschenmasse, die ihre Emotionen in ohrenbetäubendem Lärm kanalisiert, das kann eigentlich nichts gutes heißen. Am Dienstagabend gab es im Gleis 22 ein Pfeifkonzert, das sich gewaschen hat – allerdings war dieses, soviel ist sicher, ein Ausdruck schierer Begeisterung. Wie könnte man auch unzufrieden sein, nach einem solchen Konzert?
Grund der Euphorie ist die britische Soulsängerin Alice Russell. Und, das muss in diesem Fall zwingend hinzugefügt werden, ihre großartige Band. Völlig zu Unrecht im Schatten von jungen, großen Souldamen wie Duffy, Amy Winehouse und Joss Stone, gilt die junge Britin unter Kennern längst als eine der wichtigsten Stimmen im Bereich neuerer Soul- und Funkmusik. Ihre Einflüsse reichen hörbar von Minnie Riperton über Aretha Franklin bis zu Jill Scott, ihre voluminös-soulige und gleichzeitig wunderbar klare Stimme findet immer das richtige Maß zwischen Laszivität, Power und naiver Unbekümmertheit, ihre ungemein selbstsichere, freche Bühnenpräsenz ist längst zum Markenzeichen geworden – alles zusammen macht ein Konzert mit Miss Russell zum Erlebnis erster Güte.
Nicht nur, dass die eigenen Stücke vor Groove und Seele nur so strotzen, sie schafft es auch, einem Coversong ihren ganz eigenen Stempel aufzudrücken: der alte White Stripes-Gassenhauer „Seven Nation Army“ klang noch nie so sexy wie hier. Und das ist noch nicht alles – da ist ja auch noch die wunderbare Band, ohne die sowohl Russell als auch das Publikum nur halb so viel Spaß hätten. Und ihre Jungs sehen nicht nur gut aus (Russell im schwarzen Pailettenkleid, die Band in einheitlichem Weiß – „Dressed To Impress“ ist nicht nur die Zugabe, sondern auch das Motto des Abends), sondern stehlen ihr mit spontanen Tanzeinlagen und sonstigen Späßen nicht nur einmal fast die Show. Aber nur fast, schließlich ist auch Russells Robot-Dance nicht von schlechten Eltern.
Apropos Show: Als die Band im Kollektiv zu Boden geht und den Toten Mann macht, bleibt Miss Russell stehen und schaut auf sie herab – ein gut choreographiertes, selbstbewusstes Statement: Die Frau ist eine Klasse für sich, und die Männer liegen ihr eben zu Füßen. Wie könnten sie auch anders?
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