Montag, 17. Mai 2010

Ausstellung - bonjour cité im Fachwerk Gievenbeck

bonjour cité - zur Architektur des Menschen

Die Fotoausstellung von Johannes Wallat im Fachwerk Gievenbeck zeigt, wie ähnlich Mensch und Stadt sich geworden sind.

Gievenbeck. Die Bilder wirken wie leere Kulissen: Ein Blick auf die graue und verregnete Hamburger Nordsee. Im Fokus ein riesiges Containerschiff – eine Kleinstadt im Meer. Im Vordergrund ein einzelner Tisch. Leer. Zu fehlen scheint ein Mensch. Doch merkwürdigerweise scheint der auch auf den Bildern zu fehlen, wo er abgebildet ist. Ein Eindruck von diesem Paradox lässt sich ab dem 16. Mai 2010 im Stadtteilhaus Fachwerk gewinnen, wo der junge Fotograf Johannes Wallat einen Teil seiner Bilder ausstellt.

Hier taucht der Mensch nie so auf, wie man ihn normalerweise sieht, als soziales Wesen. Vielmehr erscheint er immer als Bestandteil des urbanen Kontextes – in dem er selbst fast ein architektonisches Element bildet. Die Menschen sind kaum mehr als Objekte; die Gebäude scheinen dafür oft menschenähnlich. Längst lassen sich Architektur und Mensch nicht mehr klar voneinander trennen: Nicht nur verändern wir die Architektur, die Architektur verändert auch uns – es entsteht eine Architektur des Menschen.

Das ist auf den ersten Blick ungewohnt und kann einen auch ein wenig betrübt stimmen: „Es liegt eine anziehende Tristesse in den Bildern“, sagt der Fotograf selbst. So ist es nicht zuletzt ein Gefühl von Unverbundenheit, das die Fotografien hervorrufen: Personen sind meistens allein, es fehlt das Miteinander. Doch die Integration in eine Gruppe wird ersetzt durch die Intensivierung der Verbindung von Mensch und Raum.

Der gebürtige Münsteraner Johannes Wallat, der zur Zeit sein Studium der Niederlande-Studien an der WWU Münster abschließt, fotografiert schon seit Langem: „Fotografie ist für mich eine Form, flüchtige Konstellationen dauerhaft sichtbar zu machen.“ Auf häufigen Reisen durch Europa ist er immer wieder über Bilder und Situationen gestolpert, die ihm besonders erschienen. So ist es nicht zuletzt auch ein Bild von Europa, das Johannes Wallat mit seinen Fotografien zeichnet: Eines Europa, das als Arrangement zusammenhält.

Eine Auswahl seiner Bilder wird ab Sonntag, 16. Mai 2010, im Stadtteilcafé des Fachwerk Gievenbeck zu sehen sein.



Donnerstag, 15. April 2010

Kontrabass - erste Sendung im Sommersemester

Yeah, das Semester hat wieder angefangen, das heißt auch wieder jede Woche Kontrabass, wie auch schon im letzten Semester mit Philipp Beckonert im Wechsel. Hier die Playlist zur ersten Show vom 14.04.2010!

01 Big Boi - Shutterbugg
02 Gil Scott-Heron feat. Nas - New York Is Killing Me (Remix)
03 Redman - Big Girlz 2010
04 Declaime & Georgia Anne Muldrow feat. Kool G Rap, Black Milk & LMNO - Heaven Or Hell
05 Gorillaz feat. Gruff Rhyz & De La Soul - Superfast Jellyfish
06 Meth, Ghost, Rae - Dangerous
07 Ty feat. Erik Rico - Me
08 Common Sense - I Used To Love H.E.R. (DJ Odys Remix)
09 Copywrite feat. Middle Distance Runner - Forever And A Day
10 John Robinson feat. Lewis Parker - A Place Called Home / The Big Picture
11 Declaime & Georgia Anne Muldrow feat. Kazi - Connect Game
12 Gorillaz feat. MF Doom - November Has Come
13 Bodega Man - Lucy
14 Moka Only - Felt Before

Sonntag, 28. März 2010

Kaki King im Gleis 22

Sie ist die Herrscherin auf dem Gitarren-Olymp, die erste Frau in der Geschichte des „Rolling Stone Magazine“, die in die Liste der größten Gitarristen aller Zeiten aufgenommen wurde. Eine Männerdomäne, in der sie sich zu Recht behauptet – ihr Spiel sucht in der Tat seinesgleichen, doch wenn Kaki King auf der Bühne steht, deutet erst einmal nichts auf ihr großes Talent hin. Klein ist sie und wirkt beinah unscheinbar. Schlicht gekleidet, kein Firlefanz, keine Spur von Extravaganz, zurückhaltend und bescheiden.
Doch wenn sie einmal loslegt, ist alle Bescheidenheit vergessen, wie weggefegt von der ungebändigten Energie, mit der sie ihr Instrument bearbeitet. Das ist nicht nur toll zum Zuhören, sondern auch schön anzusehen. Und so drängen sich die Besucher beim Konzert der Ausnahmegitarristin am Samstag im Gleis 22 vor der Bühne, um einen Blick auf die kleine Powerfrau zu erhaschen. Ein ganzes Arsenal an Gitarren hat sie dabei, elektrische und halbakustische, eine Ukulele und eine sogenannte Hawaii-Gitarre, eine Slide-Gitarre, die auf dem Schoß liegend gespielt wird.
Technisch scheinen ihrem Spiel dabei keine Grenzen gesetzt – sie nutzt ihre Gitarren als Percussion-Instrument, klopft, zupft und schrammelt, wechselt mühelos zwischen filigranen Fingerpickings, Flageolett-Anschlägen und brettharten Rockriffs. Da ist es schon beinah dreist, mit welcher Nonchalance sie ihre Fingerfertigkeit zum Besten gibt. Mit einem leisen Lächeln spielt sie im Soloteil der Show ihre galoppartigen Soli, scheint sich manchmal selbst zuzuhören, als wäre sie neugierig, was als nächstes kommt. Kaki Kings Spiel wirkt dabei zu keinem Moment bemüht, von Anstrengung keine Spur.
Doch neben der virtuosen Sologitarristin hat sie auch noch eine andere Seite: die Rockerbraut, die breitbeinige Gitarrenriffs runterschreddert. Dann läuft auch ihre kleine Band zu Höchstleistungen auf, vor allem Drummer Jordan Perlson, der auf die Felle eindrischt, dass es eine helle Freude ist.
Hier offenbart sich die rohe Seite von Kaki King, die Liebe zum Lärm und zur Energie. Stücke wie „Wrong Thing“ und „Be Afraid“ entpuppen sich als wahre Postrock-Kleinode, changierend zwischen ruhigen, melancholiegetränkten Zwischenparts und eruptiven, explosiven Ausbrüchen, in denen alles weggeblasen wird, was nicht niet- und nagelfest ist. Ein tolles Konzert, das beweist: Kaki King trägt ihren königlichen Namen zu Recht.

Sonntag, 14. März 2010

Sonntag, 7. März 2010

Declaime & Georgia Anne Muldrow - Someothaship

Irgendwo im Weltall gleitet das Hip Hop-Mutterschiff durch Raum und Zeit. Direkt daneben, im Schatten, schwebt ein anderes, merkwürdiges Schiff. Wie es heißt, weiß man nicht. Deswegen nennt man es schlicht „Someothaship“. Die Insassen stammen vom Planeten Stones Throw, in dem sich das Leben vor allem in verrauchten Kellern zwischen analogen Instrumenten, obskuren Samplern und alten, verstaubten Platten abspielt.

Declaime und Georgia Anne Muldrow lenken die Kiste auf ihrer Reise durch das Paralleluniversum, und sie haben Gäste an Bord. Zusammen mit einer illustren Schar an überaus fähigen Gastrappern bescheren sie uns dieser Tage den neuesten Wurf aus dem Stones Throw-Lager. Connoisseure werden gleich beim ersten Track wissend nicken, alle anderen brauchen höchstens drei Minuten, um in den Vibe zu kommen, der so bezeichnend für das kalifornische Label geworden ist. Der Überproduzent und Liebling des Hauses Madlib hat auch hier seine Spuren hinterlassen, auch wenn er selber nicht in Erscheinung tritt. Der Großteil der Produktionen geht stattdessen auf das Konto von Georgia Anne Muldrow, der First Lady der Stones Throw-Brigade, und die hat ihre Hausaufgaben gemacht. Dicke, blubbernde Basslines, Funk- und Jazzzitate en masse, holprige, leicht verzogene Drums, und eine gehörige Portion Kiffer-Vibe dominieren die Platte. Die Gastproduzenten Black Milk, Oddissee und Flying Lotus reihen sich da, wen wundert’s, perfekt ein. Wohlfühlmusik also für Freunde des Genres.

Dazu rappt und singt Georgia Anne, während Declaime seine gewohnt verrauchten Weisheiten zum Besten gibt, die auch hier wieder der ein oder anderen Verschwörungstheorie nicht abgeneigt sind. Man muss ihn mögen, sein quäkiges Organ, seine holprige Art zu rappen, aber wer das gut findet, bekommt erstklassiges Declaime-Futter. Der Rest kann sich mit den weiteren, unbestreitbar vorhandenen Qualitäten der Platte begnügen. Und außerdem gibt es genug Gastauftritte von überaus talentierten Kollegen: Kazi, Medaphoar, Rapper Big Pooh, Prince Po, Kool G Rap, LMNO, Black Milk – die können alle was und zeigen das auch.

Allen voran aber marschiert Wunderkind Muldrow, die auf ganzer Linie überzeugt, egal ob hinterm Mic oder auf der Produzentenseite. Kopfnickerbeats mit traditionalistischen, melancholischen Piano-Samples wie bei „Connect Game“ kann sie genauso wie den Slow Motion-Funk von „Get Up GoGo“. Das unendlich relaxte „Endure“ kommt dazu mit einem Westcoast-Synthie der alten Schule daher, der Dr. Dre damals gut gestanden hätte, das großartige „Heaven Or Hell“ baut mit seinem minimalistisch perkussiven Beat eine angenehm bedrohliche Stimmung auf. Hier sind auch die Vocals on point, LMNO von den Visionaries hat einen hervorragenden Gastauftritt, Black Milk und Oldschool-Legende Kool G Rap hauen gut rein, und Muldrow liefert auch ordentlich ab.

Bei “Boogie” gibt’s dann noch eine Portion Empowerment, egal wie schlecht es gerade läuft, egal ob die Mieten und die Steuern erhöht werden, denn den Funk gibt’s bei Declaime und Muldrow gratis: „I can make you boogie, if you want me to!“ verspricht sie. Und ganz am Ende, nach 45 Minuten verkifftem Zeitlupenfunk und einer ordentlichen Portion Kopfnickerbeats, spricht Declaime den Segen über die Passagiere des Someothaship: „May the funk set you free! May you be all you can be! May you be a better you, let the light shine through and through!“ Word.

Sonntag, 28. Februar 2010

Culcha Candela im Skaters Palace

Es gab eine Zeit, da regierten Boybands die Popwelt. Gut aussehende Jungs mit charmantem Lächeln, die eingängige Lieder von Liebe und Leidenschaft sangen und die zumeist weiblichen Fans reihenweise um den Verstand brachten. Da fielen die Mädchen noch vor dem Konzert in Ohnmacht, Teddybären flogen auf die Bühne und das ohrenbetäubende Kreischen übertönte selbst die kräftigsten Lautsprecherboxen.
Das war damals, in den Neunzigern, doch Culcha Candela lassen diese Zeiten wieder aufleben. Sie sind das 2000er-Pendant zu all den längst vergessenen Boybands von Take That bis zu den Backstreet Boys. Beim ausverkauften Konzert der Band am Samstag im Skaters Palace jedenfalls kreischen die Mädels, als ob es kein Morgen gäbe, und das noch bevor die süßen Boys überhaupt die Bühne betreten haben!
Seit ihrem Überhit „Hamma“ reiten die Berliner auf einer Erfolgswelle, und ein Ende ist erstmal nicht in Sicht. Die Tour zum aktuellen Album ist größtenteils ausverkauft, der Ruf als hervorragende Liveband eilt den sieben Smarties voraus. Ob der Rummel berechtigt ist, sei mal dahin gestellt, doch sie verstehen ihr Handwerk. Sie wissen, welche Knöpfe sie drücken müssen, um die Fans in Ekstase zu versetzen. Kleine Mädchen im Grundschulalter reißen die Hände in die Luft, daneben stehen hüftenschwingend ihre Mütter und singen begeistert mit. Culcha Candela wirken generationenübergreifend.
Dass die Texte dabei nur bedingt jugendfrei sind und obendrein mitunter bedenklich nah an die Schwachsinnsgrenze reichen, scheint dabei niemanden weiter zu stören. Meistens geht es um Party, Drinks, coole Jungs und heiße Frauen. Die platte Empowerment-Hymne „Steh Auf“ mit Akustikgitarre und Bongos oder die halbgare, boulevardeske Gesellschaftskritik von „Schöne Neue Welt“ fallen da kaum ins Gewicht.
Culcha Candela stehen eben für gute Laune, und die war ja noch nie auf Niveau angewiesen. Doch Stimmung machen, das können sie – die Band zieht alle Entertainment-Register, die Show ist bis ins kleinste Detail durchchoreographiert. Jede Bewegung sitzt, vom synchronen Handtuchschwenken über die Gruppenpose für die Kameras bis hin zur sorgfältig einstudierten Percussion-Einlage.
Die Fans sind angesichts so viel geballter Energie hin und weg und fordern schreiend „Ausziehen! Ausziehen!“. Gewollt oder nicht: Culcha Candela sind die legitimen Nachfolger der Backstreet Boys – sexy Hitgaranten mit viel Effekt und wenig Substanz.



Donnerstag, 18. Februar 2010

Friska Viljor im Gleis 22

Wieviele Lieder es über die Wohlwillstraße in Hamburg gibt, ist nicht bekannt. Eines der schönsten aber, soviel ist sicher, stammt von Friska Viljor. Die Schweden haben dort wohl ein paar durchzechte Nächte verbracht und waren so begeistert von den Menschen, die sie dort getroffen haben, dass sie ihnen gleich ihre neue Single gewidmet haben. Wenn das mal keine Ehre ist: „Wohlwill“ ist einer von jenen Songs, bei denen man unwillkürlich mitsingen muss, ein echter Ohrwurm, und er hat das Zeug zur Hymne, auch über Hamburgs Stadtgrenzen hinaus.
Beim Konzert der Band am Mittwochabend im restlos ausverkauften und proppenvollen Gleis 22 singen die Fans jedenfalls aus voller Kehle mit. Aber das ist bei Friska Viljor andererseits auch nichts Besonderes: die Songs von Daniel Johansson und Joakim Sveningsson eignen sich allesamt hervorragend zum gemeinsamen Mitsingen. Sowieso sind die beiden der lebende Beweis dafür, dass den Schweden im Indiepop-Bereich in der Regel niemand so schnell etwas vormacht. Sänger Joakim hat die Musik mal als „Kindermusik mit erwachsenen Texten“ bezeichnet, und das kommt hin – Lieder über Trinkgelage und ein ‚versehentliches’ Techtelmechtel mit der Freundin des Kumpels sind sicher nichts für die Kleinen.
Dazu haben die beiden Frontmänner auch einen Hauch von Zwielichtigkeit – in der Kombination aus Nadelstreifen, Hemd und Schleife mit Zottelhaaren und Vollbart sehen sie aus wie zwei ausgemachte Schlitzohren. Doch die Musik dieser zweifelhaften Gentlemen ist über weite Strecken so fröhlich und unbeschwert, dass sie über Altersgrenzen hinweg wirkt. Wer genauer hinhört, erkennt einen Hang zur Sehnsucht, zur Melancholie, gerade bei den ruhigeren Stücken. Die tragen Daniel und Joakim in trauter Zweisamkeit auf der Bühne sitzend vor, nur in Begleitung von Melodica und Gitarre.
Die Uptempo-Nummern mit voller Bandbesetzung aber dominieren die Show, und da geht es gut zur Sache: Mitreißende Pop-Nummern mit Handclaps und Falsett-Einlagen, mit Mitsingparts und einem Hauch von Disco-Feeling. Da fällt das Stillstehen schwer, und spätestens als die Band zur Zugabe „Shotgun Sister“ anstimmt, fallen im Chorus alle mit ein: „La la laaa la laaa!“ Eines ist sicher: die Fans werden die sympathischen Schweden in guter Erinnerung behalten. Und wer weiß, vielleicht schreiben die eines Tages ja auch ein Lied über Münster.

Montag, 15. Februar 2010

RA, JMT, Talib Kweli - Monster Of Rap im Skaters Palace

Normalerweise sollte man sich vor voreiligen Schlüssen hüten – wer kann im Februar schon sagen, was der Rest des Jahres bringt? Doch wer das Monsters Of Rap-Festival jetzt schon zum Konzertereignis des noch jungen Jahres erklärt, lehnt sich sicher nicht allzu weit aus dem Fenster. Zumindest für Hip Hop-Fans ist dieser Abend ein Pflichttermin – RA The Rugged Man, Jedi Mind Tricks und Talib Kweli, allesamt gestandene Rap-Veteranen, an einem Abend auf ein und derselben Bühne, das kommt nicht alle Tage vor. Dazu ein Aufwärmprogramm, das mit Fashawn, Blu & Exile und Diamond District gleich drei gefeierte Newcomer-Acts zu bieten hat – kein Wunder, dass der Skaters Palace am Samstagabend aus allen Nähten platzt.

Fünf Stunden Programm sind geplant, da heißt es Kräfte einteilen. Doch spätestens beim Auftritt von Rap-Rüpel RA The Rugged Man lassen die rund 1500 Fans alle Hemmungen fallen. RA tobt über die Bühne wie ein Berserker, zeigt seinen haarigen, dicken Bauch und flirtet mit den Mädels – die Frauen lieben ihn, „because isch bin eine Casanova!“, wie er erklärt. Aber aufgepasst: wer bei ihm in der ersten Reihe steht, muss mit allem rechnen. RA ist eine Rohnatur, unberechenbar und verrückt, aber heute dominiert der Spaß – das einzig Verrückte sind seine endlos-atemlosen Reimketten, die er wie Maschinengewehrsalven auf die Fans abfeuert. Ein Bad in der Menge bildet den krönen Abschluss, bevor Jedi Mind Tricks die Kontrolle übernehmen.




Das Intro der Show weist mit Heavy Metal-Gitarren den Weg in die düstere, böse Welt der Underground-Helden aus Philadelphia. Mit Reibeisenstimmen und bösen Blicken läuten sie das Ende der Welt ein, so möchte man meinen, und bei Hits wie „Retaliation“ oder „Heavenly Divine“ bebt der Boden der Halle in der Tat Armageddon-verdächtig.




Doch die Stützpfeiler halten, und so kann Talib Kweli die aufgeheizte Menge endgültig in die Extase führen. Wer Angst hat, dass Talib der rohen Energie seiner Vorgänger nichts entgegenzusetzen hat, wird schnell eines besseren belehrt: gleich der Opener „Move Something“ macht die Verhältnisse klar. Talib ist bestens aufgelegt und feuert einen Hit nach dem anderen ab. Die perfekt durchgeplante Show setzt dem Abend die Krone auf und wird noch lange im Gedächtnis bleiben. Ob es nun die Breakdancer aus dem Publikum sind, die Talib zum Tanzen auf die Bühne holt, oder die Freestyle-Einlage zur Zugabe, wo noch einmal alle Künstler des Abends zusammen auf die Bühne kommen – das sind Bilder, die man nicht mehr alle Tage sieht. Konzert des Jahres? Bestimmt!




Freitag, 12. Februar 2010

Zeiten ändern dich - Bushido im Cineplex Münster

Sicherheitspersonal am Eingang, Absperrgitter und erhöhte Alarmbereitschaft – so etwas gehört in Münsters Cineplex nicht zum Alltag. Doch ungewohnte Gäste erfordern manchmal ungewöhnliche Maßnahmen, und so ist beim Besuch von Bushido am Dienstagabend alles ein bisschen anders. Übertrieben oder nicht, Bushido nimmt’s gelassen. Seit Sonntag ist er mit seinem Team unterwegs, um seinen neuen Film zu promoten („vier Städte am Tag, Alter!“), und in jeder Stadt erwartet ihn das gleiche Bild: kreischende Mädels und halbstarke Jungs, die sich um Autogramme oder einen Händedruck rangeln. Das schlaucht, doch den Stress lässt sich Bushido nicht anmerken: „Ein alter Mann ist kein D-Zug!“ ächzt er lakonisch, als er 20 Minuten zu spät zum Pressetermin erscheint. Eine Entschuldigung ist das nicht – schließlich ist er hier der Star und bestimmt, wo es lang geht. Auch seine Fans kann er notfalls maßregeln: „40 Sekunden, dann ist Ruhe!“
Doch bevor die ihn zu sehen kriegen, geht es erstmal um „Zeiten ändern dich“, das Filmporträt des Berliner Rappers, in dem Bushido sich selber spielt. Sein Erfolg ist unerreicht, goldene Schallplatten, Platinalben und ein Bestseller-Roman pflastern seinen Weg. Jetzt auch noch ein Film – kann das gut gehen? Die Kritiker sagen: Nein. Bushido aber sieht das anders: „Was die sagen, ist mir egal. Wenn ich darauf achten würde, hätte ich 2001 aufgehört, Musik zu machen.“ Denn mit der Musik und dem Kino sei es ja wie mit dem Essen: „Hauptsache es gefällt dir! Das Essen meiner Mutter ist ja auch nicht schlechter als ein Gourmetmenü.“ Gut – über Geschmack lässt sich streiten. Doch was ist eigentlich die Botschaft des Films? Bushido gibt sich poetisch: „Es ist ein modernes Märchen. Da ist ein kleiner Junge auf einem weißen Pferd losgeritten und hat den bösen Drachen besiegt!“

Dass der kleine Junge dabei nicht nur „Gruppensex, Kokain und Schlägereien“ erlebt hat, sondern eine „ganz normale Kindheit“ hatte, widerspricht zwar dem Bild, das Bushido bisher mit seiner Musik und seinem Buch von sich selbst gezeichnet hat, aber gut – der Mann ist eben facettenreich, und er versteht es wie kein anderer, sein böses Image zu vermarkten. Dass dieses Image im Zuge der medialen Ausschlachtung des Berliners zwischen Kerner und Maischberger längst zur Pose verkommen ist – geschenkt. Jede Gesellschaft braucht schließlich ihr Enfant terrible, und Bushido ist das schwarze Schaf im deutschen Showzirkus. Da passt es, dass Alice Schwarzer ihn kürzlich als „verkappten Spießer“ bezeichnet hat. Doch Bushido tut das mit einem abschätzigen Lächeln ab – Schwarzer sei er intellektuell sowieso überlegen („das mein ich ernst!“). Wer seinen Film aber sieht, so verspricht er, wird am Ende merken: er ist doch „gar nicht so anders als alle anderen“. Also doch ein Spießer? Bushido der Normalo?

Nicht ganz, denn dafür schauen zu viele Kids zu ihm auf – bei der anschließenden Autogrammstunde wird deutlich, wie sehr sich die Fans mit ihm identifizieren. Da fragt einer mit hoffnungsvollem Blick: „Sprichst du Arabisch? Ich bin auch Araber!“ Ja, Bushido ist einer von ihnen, und er hat es geschafft. Die alte Legende vom Tellerwäscher zum Millionär – Bushido verkörpert sie, und so ist er nicht nur Popstar, Skandalnudel und Spalter, sondern irgendwie auch ein Vorbild.