Es gibt Abende, da ist die Erwartung niedrig und die Überraschung groß. Man erwartet ein nettes Konzert, etwas Unterhaltung und gute Musik, nicht weniger aber auch nicht viel mehr. Und dann passiert etwas, das alle Erwartungen übertrifft, etwas, das einzigartig und so großartig ist, dass man es kaum in Worte fassen kann. Bei der Konzertreihe „Münster Weltweit“ im Gleis 22 am Mittwochabend deutete zuerst nichts darauf hin, dass dies ein solcher Abend werden könnte, doch es sollte eine Sternstunde werden. In der Newcomer-Reihe trafen dieses Mal zwei münstersche Formationen auf den Amerikaner Astronautalis. Die vierköpfigen Sinnapparat eröffnen den Abend recht konventionell und gefällig mit schönem deutschen Gitarrenpop, ohne damit Gefahr zu laufen, irgendwo anzuecken. Ähnlich die Elektrorocker von Klubgrün, die ihre verzerrten Gitarrenbretter mit einem dick gefütterten Synthieteppich unterlegen und damit deutlich in Richtung Bloc Party schielen. Tanzbar ist das absolut, das Publikum schwenkt Neonlichter, es riecht nach Indie-Disco. Doch der Vergleich zum Hauptact lässt beide klein aussehen. Der stellt mit seiner One-Man-Show nämlich im Handumdrehen das zuvor Gewesene in den tiefschwarzen Schatten des Vergessens – Astronautalis heißt er, kommt aus Florida, und was er macht, ist kaum zu beschreiben.
Statt einer Band hat er einen Laptop, und der spuckt auf Knopfdruck die schrägsten und holprigsten Beats aus - lärmig dröhnend, bedrohlich rumpelnd, sperrig und widerborstig – und darüber rappt und singt er seine verrückten, kryptischen Texte. Das hatte mal mit Hip Hop zu tun, doch diese Schublade ist für Astronautalis viel zu klein. Seine Stücke sind im Wortsinne wahn-witzige Exkurse zwischen Spoken Word und Highspeed-Rap, technisch und rhythmisch hochpräzise, inhaltlich absurd und sehr komisch. Manche Texte werden mit bedrohlich irrem Blick geflüstert, andere in Tom Waits-Manier herausgebrüllt und durch wilde Gestik und Mimik unterstrichen. Zwischen den Stücken gibt es ambivalente Statements wie "kidnapping is an acceptable substitue for dating" oder "while making out is wonderful, voting isn't less important - vote first, then make out!" Aber nicht dass ihn jemand zu ernst nimmt: "You shouldn't listen to anything I told you so far!" ruft er gleich darauf ins Mikro. Ernst nehmen soll man ihn nicht, aber als Spaßvogel taugt er auch nicht: zu komplex ist seine Musik, seine Texte zu verstrickt und sein Humor zu scharfsinnig und tiefgründig. Astronautalis macht Angst, bis man bemerkt, wie sympathisch und klug er ist und wie messerscharf sein Verstand. All der Wahnsinn ist kalkuliert und ist, wenn man sich nur darauf einlässt, bewundernswert. So weicht die anfängliche Skepsis schnell grenzenloser Begeisterung, und spätestens die unglaubliche Freestyle-Zugabe auf Stichwort-Zuruf aus dem Publikum (Fred Durst und Burt Reynolds brechen mittels einer Rohrbombe aus der Reha aus und fliehen mit einem kleinen Kätzchen nach Norwegen) macht klar – dieser Abend ist einzigartig und Astronautalis mit seiner Kunst genauso weit draußen, wie es sein Name suggeriert. Große Klasse!
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Montag, 21. September 2009
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4 Kommentare:
Naja, lieber Hans... ich weiß nicht, ob Du am 21.09.09 überhaupt im Gleis22 warst. Wenn Du da gewesen wärst wüsstest Du, dass die Band Sinnapparat aus FÜNF Leuten besteht... aber wenn die Katze ein Pferd wäre, würde sie einen Baum hochreiten...
Beste Grüße!
Ein Fan
Nein, er war definitiv nicht da. Als sein Held des Abends auftrat, waren vom Publikum nur noch ein paar(12-15?) kleine Mädchen übrig, die ihn anhimmelten(bestimmt wegen der "unbeschreiblichen" Darbietung ;-)).
Aber "kommt aus Florida" reicht ja für `ne gute Kritik. Gell?
ja, und die fotos haben sich auch von selbst geschossen...übrigens habe ich den auftritt von sinnapparat tatsächlich verpasst, kannte aber die musik der fünf (pardon für diesen schwerwiegenden recherche-fehler) und stehe nach wie vor zu meinem urteil - und mein held des abends wurde völlig zu recht angehimmelt, von ein paar kleinen mädchen und unter anderem von mir. ist da etwa jemand angepisst?
...und wenn du weiterlesen würdest, könntest du auch erkennen, dass ich mehr als "kommt aus florida" geschrieben habe.
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