Sonntag, 20. Januar 2008

Songwriter mit merkwürdigen Namen

In der deutschen Songwriterszene scheint es momentan modern zu sein, sich möglichst skurrile Namen zu geben. Da heißen die Bands dann „Der Hund Marie“ oder „Der Tante Renate“. Gisbert Zu Knyphausen und Herr Hund knüpfen scheinbar nahtlos an diesen Trend an. Doch auch wenn der Name etwas klamaukig klingt, sollte man daraus nicht direkt auf die Musik besagter Künstler schließen. Am Samstagabend waren beide im Amp zu sehen. Schnell ist klar: so lustig wie der Name klingt, ist Herr Hund gar nicht. Der münsteraner Solokünstler spielt, nur mit einer E-Gitarre bewaffnet, zerbrechlich wirkende Songs, die manchmal wütend herausbrechen, meistens aber eine eher leise Melancholie verströmen. In den besten Momenten haben die Stücke etwas von der Tragik und Dramatik von Radiohead. Die letzten drei Songs spielt er mit Unterstützung am Bass und Schlagzeug, was der Musik durchaus gut tut. Dann ist es Zeit für Gisbert Zu Knyphausen: Der Singer-Songwriter mit dem merkwürdigen Namen ist zum zweiten Mal im Amp, und der Laden ist voll. Beinah unscheinbar steht er auf der Bühne, singt mit geschlossenen Augen vom Zeitverschwenden, geteilter Einsamkeit und der Suche nach dem Glück. Unterstützt wird er dabei von seiner Band, mit der sich Knyphausen souverän einreiht in die deutsche Indierockelite. Seine Stücke sind nachdenklich, die bildlichen Texte repräsentativ für die Generation der Mittzwanziger, die sich zwischen zielloser Getriebenheit, dem Leben im Hier und Jetzt und einer vagen Melancholie bewegt. Es geht um Trostlosigkeit, Langeweile, Freiheitsdrang und der Suche nach einem Halt im Leben. Der Taumel des Lebens und das Herauszögern des Momentes, an dem es ernst wird und alle Unbekümmertheit verfliegt – davon handeln seine Lieder. Ein Lebensgefühl in Musik verpackt. Das ist alles nichts neues, aber nett anzuhören.

Fruity Sista Orchestra

Es ist ein bisschen wie ein großes Wohnzimmer. Mit seinen Teppichen und Sofas strahlt das Amp eine gemütliche Atmosphäre aus – zumindest bevor die feierwütigen Massen die Tanzfläche in Beschlag nehmen. Und ein Teil des loungigen Ambientes wird bei Bedarf zur Bühne und damit zum Schauplatz von großartigen Konzerten in intimer Atmosphäre. Seit 2007 finden dort regelmäßig Gigs statt, musikalische Grenzen gibt es nicht. Am Samstag gab sich das Fruity Sista Orchestra (FSO) die Ehre. Die junge münsteraner Formation greift mit ihrer Musik auf das zurück, was im Bereich von Funk, Disco und Soul in den letzten 30 Jahren passiert ist. Und dabei fühlt sich die Band wohl wie Fische im Wasser. Die Bandbreite reicht von zurückgelehnten, gefühlvollen Balladen über synkopierte, gebrochene Grooves bis zu gnadenlosen Dancefloorbrettern, bei denen auch der letzte Eckensteher nicht mehr ruhig bleiben kann. Funk, Soul, Disco – alles wird hier mit Großbuchstaben geschrieben. Es dauert vielleicht zwei Nummern, bis das Eis gebrochen ist, dann geht es nur noch aufwärts. Die Band groovt sich ein, der Funke springt über. Manchmal weiß man nicht, wer mehr Spaß hat, die Musiker oder das Publikum. Heute Abend scheint alles zueinander zu passen. Frontfrau Stephie Krusche hat die Meute im Griff, lässt sie mitmachen, und einmal muss die Band noch einmal einsetzen, weil die Fans nicht aufhören zu singen. Die vehement eingeforderte Zugabe beendet das Konzert nach gut anderthalb Stunden, aber der Eindruck bleibt – eine Band mit viel Potential und vielleicht noch mehr Freude und Enthusiasmus.

Beatshopping

Fast genau ein Jahr ist es her, dass im Hot Jazz Club der Grundstein für ein ehrgeiziges Projekt gelegt wurde: Hiphop, live umgesetzt mit einer kompletten Band, ganz im Stile großer Vorbilder wie The Roots oder auch dem Freundeskreis. Das Konzert am 29.12.2006 war überaus gut besucht, und im Nachhinein war man sich einig, Zeuge eines großen Momentes gewesen zu sein. Ein Jahr ist seither vergangen, aber die Spielfreude und das Engagement der einzelnen Musiker sind noch immer ungeschmälert. Davon konnte man sich am 26. Dezember im Whatever beim Skaters Palace überzeugen. Man hatte zum Beatshop gerufen, und die Fans waren zahlreich erschienen. Die Lokalmatadoren Daily News, der Ratinger Umse und die alteingesessene Crew 2ltaim, ebenfalls aus Münster, zeigten eindrucksvoll, wie Hiphop auch funktionieren kann: nämlich spannend, energiegeladen und mitreißend. Begleitet von gleich zwei kompletten Bandbesetzungen lieferten alle ein sehenswertes Programm ab. Die bekannte westfälische Zurückhaltung war dann auch schnell verflogen, als Daily News, begleitet von den Musikern von MS Finest, die Bühne betraten. Die Lokalmatadoren wissen, wie man Party macht, und so hatten sie das Publikum im Nu auf ihrer Seite. Nach einem zu Recht bejubelten Auftritt war es Zeit für den Ratinger Newcomer Umse, der seine Popularität unter anderem dem Netzwerk MySpace zu verdanken hat. Er wusste das Publikum mit cleveren Wortspielen und wohl durchdachten Alltagsbetrachtungen zu überzeugen – Hiphop mit Bodenhaftung im Stile von Eins Zwo. Den Abschluss des Abends bildete dann die Gruppe 2ltaim in Begleitung der Band DefClef, die noch einmal alle Kräfte des erschöpften Publikums mobilisieren konnte. Ein überaus gelungener Abend - bitte mehr davon!

(Foto von Chimo Rosenau)

Montag, 14. Januar 2008

Nederhop

Werfen wir mal einen Blick auf die Hiphop-Szene in unserem netten kleinen Nachbarland. Hiphop und Holland - fängt zwar beides mit H an, würde man aber sonst wahrscheinlich nicht direkt miteinander in Verbindung bringen. Ich meine, was kennt man schon an Musik aus Holland? 2Unlimited, Caught In The Act, Charlie Lownoise & Mental Theo, DJ Tiesto...Alles nicht gerade Garanten für gute Musik.
Und im Hiphop? Mh...Den meisten fällt da wahrscheinlich gar nichts zu ein. Wenn man aber ein wenig nachdenkt, könnte man doch auf ein zwei Sachen kommen. Für Furore, auch in Deutschland, haben Pete Philly & Perquisite gesorgt, als ihr erstes Album erschien, ich meine es war 2006. Mindstate heißt das Ding, und der Name ist hier Programm: Die Titel sind nach Gemütszuständen benannt, und das Konzept dahinter ist, naheliegend, eine musikalische Umsetzung der Titel. Das ist größtenteils geglückt, und so ist ein interessantes Album entstanden, das vor allem wegen der sehr musikalischen und vielschichtigen Beats mehr als nur hörenswert ist. Ende letzten Jahres kam dann das zweite Album, Mystery Repeats, und auch das sollte man nicht an sich vorbeiziehen lassen. Im Grunde wird der musikalische Kurs des ersten Albums fortgeführt - musikalische Beats, oft mit Live-Instrumenten und leichten Jazz-Einflüssen, aber nie verfrickelt und seicht, sondern immer mit dem nötigen Druck dahinter. Hören und kaufen!

Das alles ist auf Englisch und damit auch für die meisten verstehbar. Es gibt aber natürlich auch Hiphop in der Landessprache. Wie auch in Deutschland erfährt Hiphop-Musik im Moment einen großen Hype, und Hypes habern es meistens an sich, dass sie viel Mist mit an die Oberfläche spülen. Da ist auch Holland keine Ausnahme.
Allerdings muss man dort momentan nicht so tief graben wie in Deutschland, um Veröffentlichungen zu finden, die einem gewissen Anspruch an Texte und Beats gerecht werden. Im Gegenteil, an der Spitze der 'Nederhop'-Szene marschieren seit ein paar Jahren drei Jungs aus Zwolle, die mit ihrer Musik einen ganz anderen Weg verfolgen als die zahllosen Ami-Rap-Kopien mit immer gleichen Beats und Inhalten. Opgezwolle beweisen seit nunmehr 3 Alben, dass es möglich ist, eine eigene musikalische Vision abseits ausgetretener Pfade und Anbiederei an all die Kanye West's da draußen zu verfolgen. Und damit obendrein noch großen Erfolg zu haben. Ihr letztes Album EigenWereld ist ein Musterbeispiel an facettenreicher Eigenständigkeit, manchmal recht sperrig, aber konzeptuell musikalisch wie auch textlich äußerst gelungen. Opgezwolle sind für die niederländische Hiphop-Szene das, was IAM für Frankreich ist. Oder so ähnlich zumindest.

Hier das Video von "Rustug" (ruhig):



Und hier das Video von "Verre Oosten" (Ferner Osten), eine Hommage an ihre Heimat Zwolle (mäßiges Video, aber Knaller-Track!)




Und dann gibt es da noch Typhoon. Dieser junge MC, er ist um die 20, stammt ebenfalls aus dem Opgezwolle-Dunstkreis. Seine bisherigen Singles und Features hatten mich nicht gerade überzeugt. Zu oft waren da Refrains, die an Peinlichkeit grenzten, jede Menge Popappeal und Gefälligkeit, Durchschnittlichkeit und wenig originelles. Seine Single "Vluchtgedrag" (Fluchtverhalten)zum Beispiel, in der er für mehr Toleranz gegenüber Flüchtlingen plädiert, ist zwar gut gemeint, leidet aber an Überambitioniertheit, schlimmem Refraingesang und gleichzeitig einer schwachen Produktion. Das, so war mein Eindruck, ist bei Typhoon meistens der Fall, und so hatte ich ihn schon komplett abgeschrieben.
Als ich dann aber von seinem Soloalbum erfuhr und davon, dass Opgezwolle-Producer Delic einen Großteil der Beats produziert hat, wurde ich doch neugierig. Nun, Delic hat einen Beat auf dem Album, dementsprechend wurden meine Erwartungen enttäuscht. Aber das ist auch die einzige Enttäuschung - Es gab lange kein Album mehr, das mich so umfassend überzeugt hat und, mehr noch, mich schier euphorisch gestimmt hat. Tussen Licht En Lucht ist, ohne zu sehr zu übertreiben, ein Instant-Klassiker. Das Album ist eine organische Einheit mit teils überragenden Produktionen und ohne einen einzigen wirklichen Tiefpunkt. Die Beats haben immer die nötige Kraft, und wo man zu Anfang noch skeptisch zuhört, weichen die Zweifel bald ungeminderter Begeisterung. Musikalisch höchst abwechslungsreich kommt das Album daher, mit zwei dicken Brettern direkt am Anfang, nur um danach ins nachdenklich-ruhige abzugleiten. Live-Instrumentierung unterstützt ein paar Nummern, und nur bei ein oder zwei Tracks kommt ein vages schon-mal-gehört-Gefühl auf. Ansonsten klingt das Ganze überraschend fresh, originell und unverbraucht. Typhoon beherrscht sein Fach, überzeugt auf allen Gebieten der MC-Kunst. Ob es nun persönliche Texte sind, philosophische Überlegungen oder Representer-Lyrics, der Mann weiß was er tut. In einem Forum wurde ein Vergleich zu Nas und seinem Meilenstein-Debut Illmatic gezogen, und auch wenn man sich hier in den höchsten Sphären der Hiphop-Geschichte bewegt, ist der Vergleich gar nicht so abwegig. Ein junger hungriger MC, ausgestattet mit großem Talent und überragenden, zeitlosen Beats - insofern passt der Vergleich wie Arsch auf Eimer. Typhoons Debut ist momentan mit das Beste, was Holland in Sachen Rap zu bieten hat, und für mich ist es nachträglich noch in meine Top-3-Hiphop-Alben-Liste für 2007 reingerutscht. Großartig!


Hier das Video zu "Volle Maan" (Vollmond):


Das hier ist der Opener des Albums, "Hotel Beschaving" (Hotel Kultiviertheit/Zivilisiertheit), leider kein wirkliches Video ;-):