Eine freudige Nachricht erreichte mich kürzlich aus den Tiefen des MySpace-Universums: die Jungs von Kinderzimmer Productions haben die Arbeiten an ihrem neuen Album offensichtlich abgeschlossen, und so kommt ihr neuestes Baby "Asphalt" am 22.06. in die Läden. Für mich Grund genug, mir mal die neuen Tracks zu Gemüte zu führen, die allesamt auf ihrer MySpace-Seite anzuhören sind.
"Asphalt" ist bereits Album Nummer sechs, und wer die Vorgänger kennt, weiß worauf er sich einzustellen hat: Ein buntes Sammelsurium der unwahrscheinlichsten Samples, rumpelnde, dreckige Beats und vom MC Textor eine Attitüde, die sich schon immer (bewusst?) den gängigen Schemata und Rollenmodellen der Hiphop-Szene verweigerte. "Ich repräsentiere einen Scheiß, ich bin einfach nur da". Als Einflüsse werden immer wieder Eric B & Rakim genannt, Run DMC, Boogie Down Productions oder Gangstarr. Aber auch der Samplewizard Madlib/Quasimoto wird von den Jungs als Referenz herangezogen. Und in Bezug auf die Vorgehensweise beim Samplen lassen sich durchaus Parallelen feststellen zwischen dem Producer aus Oakland und dem Ulmer Quasimodo (die sich lustigerweise bis in die Namensgebung fortsetzen lassen). Aber da wo Madlib knietief im Jazz der 70er Jahre steht, scheinen die Kinderzimmer Productions ihre Referenzen etwas früher verortet zu haben, im Jazz der 30er bis 60er Jahre.
Aber nicht dass das alles wäre - benutzt wird alles was irgendwie reinpasst, so abwegig die Assoziationen auch sein mögen. So finden sich auf ihren Platten seit jeher Leute wie Thelonoius Monk, die Stranglers, Kraftwerk, Billie Holiday und Neil Young als gleichberechtigte Referenzen nebeneinander wieder. Der MC Textor glänzt dabei mit Texten, die voll sind von Anspielungen und intertextuellen Verweisen und führt so im Grunde das Prinzip fort, das schon bei der Beatproduktion angewendet wird. Seine Referenzen reichen dabei von teils schon genannten Old-School-Größen wie Rakim, Guru, EPMD, Run DMC und KRS One bis hin zur deutschen Literatur mit Heinrich Böll, Thomas Mann und Siegfried Lenz. Aus seiner Bildung macht er keinen Hehl, und das ist auch gut so, sind seine Texte doch oft wahre Kleinode, voll von klugen Aphorismen über das Leben, abwegigen Vergleichen, humorvollen Geschichten und um die Ecke gedachten Assoziationsketten. Textors Umgang mit der deutschen Sprache sucht seinesgleichen - hierzulande vielleicht nur noch erreicht durch Leute wie Dendemann oder Aphroe von RAG.
Hip Hop für Intellektuelle also? Nicht unbedingt, auch wenn die Musik der Kinderzimmer Productions durchaus schwer zugänglich sein kann. Aber oft sind ja die Alben, die sich erst nach mehrmaligem Hören erschließen lassen, auch diejenigen, die einen lange Zeit begleiten und mit der Zeit immer besser werden.
Was erwartet uns also auf dem sechsten Album? Die letzte Platte "Irgendjemand Muss Doch" war wohl das schwächste Album in der Diskographie der Jungs. Aber die neuen Tracks überzeugen - es ist alles beim Alten, und es poltert und rumpelt, dass es eine helle Freude ist, und Textor ist in Hochform und beweist einmal mehr seine Klasse als MC. Nicht dass man sich wiederholen würde, aber es ist doch zweifelsohne der Trademark-Sound der Ulmer, der sie in der deutschen Hiphop-Landschaft so einzigartig macht, und der uns auch hier wieder vom ersten Ton an entgegenschlägt.
Mit einem leicht schrägen, jazzigen Intro wird der Hörer ins Kinderzimmer-Universum eingeführt. "Das T", der Eröffnungstrack, zeigt dann gleich die Marschrichtung an. Über ein groovendes, perkussives Instrumental liefert Textor einen Representer-Track in bester Kinderzimmer-Manier ab: "Ich bin der, der Handgriffe an das Unfassbare macht". Nach diesem nocht recht konventionellen Opener geht es dann aber direkt tief in die Frickelkiste - "Kickstart Mein Hirn" holpert herein, und man braucht durchaus eine Weile, bis sich der Rhythmus des Tracks erschließt. Oder ändert sich der Takt andauernd? "Will Fulfill" ist dann wieder zugänglicher. Ein groovender Basslauf, ein dreckiges Drumset, ein paar Sampleschnipsel und Textors Wortspielereien: "Tanzt nach meiner ihr Wasserpfeifen könnt mir nicht das Wasser reichen ich gehe über Wasser und über Wasserleichen" - So fühlt sich Zuhause an.
Nach dem langsamen, beinah schleppenden "Sind Sie Da" folgt eine Fortsetzung der Kollaboration Textors mit seinem prästimmbrüchigen-helium-gepitchten Alter Ego namens Tek Beton - Madlib lässt grüßen. "Was Du Hast" ist eine Ode an den Materialismus und pure Angeberei, das ganze aber nicht ohne die typische ironische, augenzwinkernde Konnotation. "Geh Kaputt" ist dann einer der wenigen Tracks, in dem sich eindeutig ein Thema ausmachen lässt - Mit beinah stoischer Ruhe erzählt Textor über einem minimalistischen Beat von alltäglichen Zerreißproben im Umgang mit Nachbarn und Mitmenschen und verliert sich gedanklich in Racheszenarios - natürlich ohne nach außen hin die Beherrschung zu verlieren: "Mein innerer Wutmensch hat nen Dämon als Nebenbuhler, der wünscht dich in die Fänge einer Gang gewaltbereiter Lederschuhe" - schön, auch wenn humorige Lyrics nicht gerade zu Textors Stärken gehören.
Eins der besten Stücke des Albums ist "Der Durchbruch". Ähnlich durchschlagend wie damals "Wir sind da wo oben ist" und textlich in einer Linie mit "Styles ohne Ende" vom letzten Album - ein Kopfnicker, ein Brett von Beat in bester Boom-Bap-Tradition und definitiv ein Single-Kandidat, auch wenn ihnen der selbstbewusst proklamierte Durchbruch vielleicht nie mehr gelingen wird. Auch hier, wie schon bei "Sind sie da", kommen im Chorus dezente Scratches zum Einsatz, was dem Track durchaus gut tut. Und Textor ist in Höchstform - "auf einem Beat der zieht wie ein Biest an der Leine".
Und dann, wenn das Album eigentlich schon zu Ende ist, kommen nochmal zwei großartige Tracks um die Ecke - das kryptische "Die Stadt die es nicht gibt", und "Ononon", in dem Textor in bester Storyteller-Manier von einer unangenehmen Begegnung erzählt. Dann ist das Spektakel vorbei, und ein düsteres, fast schon zu langsames Outro führt uns mit dominierendem Plattenknacken und ein paar diffusen Soundfragmenten aus dem Album heraus, hinein ins Nichts. Kinderzimmer Productions eben.
Das Kinderzimmer auf MySpace
Donnerstag, 14. Juni 2007
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
1 Kommentar:
Very intereresting reading. thx
paxil
Kommentar veröffentlichen