Freitag, 20. November 2009

Sendung vom 18.11.2009

Hier die Playlist zum kleinen Boom Bap-Ausflug:

01 ADOR - Let It All Hang Out
02 Lord Finesse feat. KRS One & OC - Brainstorm
03 KRS One feat. Das EFX - Represent The Real Hip Hop
04 Organized Konfusion - Confrontations
05 Big Pun feat. Fat Joe - Twinz
06 Artifacts - The Ultimate (Showbiz Remix)
07 Show & AG feat. KRS One & Big Pun - Drop It Heavy
08 Brand Nubian - STraight Outta Now Rule
09 Pete Rock & Deda - Cant Wait
10 INI - Square One
11 Pete Rock & Deda - Nasty Scene
12 Tame One - Concerto
13 Artifacts - Wrong Side Of The Tracks

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Dienstag, 17. November 2009

Sendung vom 04.11.2009

Ein kleines Österreich-Special:

01 Waxolutionists feat. Ty - Roll With The Punches
02 Waxolutionists feat. Hygher Baby - Flashlight
03 Waxolutionists feat. LyricL & Andrea Clark - Journey
04 Apollo Gold - Apollo's Theme
05 Apollo Gold - 400 PS
06 Manuva feat. Deph Joe - Emily
07 Waxolutionists feat. Blu - Steel Remains
08 Waxolutionists feat. Rusty Redenbacher - Take This Job
09 Waxolutionists feat. Blade - Get The Picture
10 Waxolutionists feat. Rückgrat - Slangdunk
11 Waxolutionists feat. Schoolz Of Thought - Wrecka Stow
12 Apollo Gold - Lady Butterfly
13 Apollo Gold - Sag Kein Wort
14 Total Chaos - Hauptsache

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Mittwoch, 11. November 2009

Alice Russell im Gleis 22

Pfeifkonzerte sind ja normalerweise eher ein schlechtes Zeichen. Eine Menschenmasse, die ihre Emotionen in ohrenbetäubendem Lärm kanalisiert, das kann eigentlich nichts gutes heißen. Am Dienstagabend gab es im Gleis 22 ein Pfeifkonzert, das sich gewaschen hat – allerdings war dieses, soviel ist sicher, ein Ausdruck schierer Begeisterung. Wie könnte man auch unzufrieden sein, nach einem solchen Konzert?


Grund der Euphorie ist die britische Soulsängerin Alice Russell. Und, das muss in diesem Fall zwingend hinzugefügt werden, ihre großartige Band. Völlig zu Unrecht im Schatten von jungen, großen Souldamen wie Duffy, Amy Winehouse und Joss Stone, gilt die junge Britin unter Kennern längst als eine der wichtigsten Stimmen im Bereich neuerer Soul- und Funkmusik. Ihre Einflüsse reichen hörbar von Minnie Riperton über Aretha Franklin bis zu Jill Scott, ihre voluminös-soulige und gleichzeitig wunderbar klare Stimme findet immer das richtige Maß zwischen Laszivität, Power und naiver Unbekümmertheit, ihre ungemein selbstsichere, freche Bühnenpräsenz ist längst zum Markenzeichen geworden – alles zusammen macht ein Konzert mit Miss Russell zum Erlebnis erster Güte.


Nicht nur, dass die eigenen Stücke vor Groove und Seele nur so strotzen, sie schafft es auch, einem Coversong ihren ganz eigenen Stempel aufzudrücken: der alte White Stripes-Gassenhauer „Seven Nation Army“ klang noch nie so sexy wie hier. Und das ist noch nicht alles – da ist ja auch noch die wunderbare Band, ohne die sowohl Russell als auch das Publikum nur halb so viel Spaß hätten. Und ihre Jungs sehen nicht nur gut aus (Russell im schwarzen Pailettenkleid, die Band in einheitlichem Weiß – „Dressed To Impress“ ist nicht nur die Zugabe, sondern auch das Motto des Abends), sondern stehlen ihr mit spontanen Tanzeinlagen und sonstigen Späßen nicht nur einmal fast die Show. Aber nur fast, schließlich ist auch Russells Robot-Dance nicht von schlechten Eltern.


Apropos Show: Als die Band im Kollektiv zu Boden geht und den Toten Mann macht, bleibt Miss Russell stehen und schaut auf sie herab – ein gut choreographiertes, selbstbewusstes Statement: Die Frau ist eine Klasse für sich, und die Männer liegen ihr eben zu Füßen. Wie könnten sie auch anders?








Sonntag, 8. November 2009

Marteria im Skaters Palace

Gut, dass es noch Leute wie Marten Laciny gibt. Der 26 jährige Rostocker hat in seinem Leben schon viel gemacht, war im Kader der U 17-Nationalelf und Model in den USA. Sein Herz aber gehört der Rapmusik – glücklicherweise, denn zu einer Zeit, in der in der deutschen Hip Hop-Szene die Innovation auf der Strecke zu bleiben droht, kommt Laciny um die Ecke und bringt frischen Wind ins Spiel.


Ob als durchgeknallter Marsimoto mit hochgepitchter Heliumstimme oder als Marteria mit tiefem Bariton („die deutsche Syncrhonstimme von Jesus“) – auf seinen bisher drei Alben macht der Rostocker vieles anders und vieles besser als die Kollegen aus Rap-Deutschland. Jetzt ist er mit der Band Of Brothers auf Tour, um sein umstürzlerisches Werk auch live fortzuführen – am Freitagabend gab er in Münsters Skaters Palace ein Gastspiel.


Die Marschrichtung wird gleich zu Beginn der Show in der rhetorischen Frage formuliert: „ Habt ihr Bock auf die Bassline?“ Und ohne eine Antwort abzuwarten, wummern die Bässe los, grimmig und böse, synthetisch verzerrt. Dazu sorgt ein Didgeridoo für den wabernden Unterton, der in den nächsten 90 Minuten die Handlung bestimmen wird. Auf der Suche nach musikalischen Referenzen wird man am ehesten in düsteren Londoner Kellerclubs fündig: was dort mit Shooting-Star Dizzee Rascal seinen Anfang nahm und als „Grime“ als neuer Hype gefeiert wurde, übersetzt Marteria ins Deutsche – die grimmigen, basslastigen Elektrobretter haben mit den gängigen ästhetischen Regeln im deutschen Hip Hop nicht mehr viel zu tun.


Umso besser, denn die Show übertrifft so ziemlich alles, was man bis jetzt von einem Hip Hop-Konzert erwarten konnte. Ausflüge zu den Chemical Brothers und Fatboy Slim garnieren den grandiosen Trip in die tiefen Frequenzbereiche, es wimmelt nur so von bedrohlich-paranoiden Basslines und druckvollen Beats, stillstehen ist hier unmöglich. Marteria und seine Band gehen an ihre Grenzen, das Publikum dankt es ihnen mit ekstatischem Jubel, und als Marteria zum Stagediving ansetzt und auf den Händen der Fans nach der großen Discokugel greift, ist das auch ein symbolisches Bild – eine großartige Party!


Die Goldenen Zitronen im Gleis 22

Ein nächtlicher Wald auf dem Videoschirm, die Bäume im Vordergrund grell angestrahlt, dahinter unergründliche Tiefe. Gestalten schälen sich aus dem Dunkeln, gehen am Betrachter vorbei aus dem Bild, manche schieben Fahrräder. Dazu ein einfacher, satter Synthesizer-Basslauf, undefinierbare Percussions, die klimpernd und scheppernd den holprigen Takt vorgeben, düstere Stimmung. Ende des ersten Stücks.


Dann geht hinter der Videoleinwand ein Licht an, unscharf ist das Gesicht von Schorsch Kamerun zu erkennen. Das Schlagzeug legt los, Bass und Synthie setzen ein, Kamerun beginnt, einen Text zu lesen. Prosa, oder wie nennt man das jetzt? Spoken Word im No Wave-Gewand, avantgardistischer Punk, Diskurs-Noiserock, assoziatives Schreiben über Dissonanzen?


Es ist Mittwochabend im Gleis 22, die Goldenen Zitronen sind gekommen, um ihr neues Album „Die Entstehung der Nacht“ vorzustellen. Sofort ist klar: mit Erwartungshaltungen sollte man bei den „Goldis“ vorsichtig umgehen – von den bierseligen Punksongs aus den Anfangstagen der Hamburger ist nicht mehr viel geblieben, die Lederjacken haben sie längst abgelegt. Stattdessen tragen sie bizarre Kostüme: Kamerun im seidenen Esotherik-Gewand, Bassist Thomas Wenzel mit Turban, Schlagzeuger Enno mit roten Teufelsohren und Pumpärmeln – die Parole „Für immer Punk“ gilt zwar immer noch, mittlerweile aber eher im Sinne einer intellektuellen Verweigerungshaltung in Kleidung, Text und Musik. Es gibt immer noch Parolen und Systemkritik, es geht um Widersprüche, Unbehagen, Reflexionen der Konsumgesellschaft und um Weltflucht – „immer noch eine Option!“, wie Kamerun betont.


Entsprechend klingt die Musik, eine kakophone Mischung aus Punk, Wave, Noiserock, Rückkopplungen, fiepsend-dissonanten Keyboards, analogen Synthesizern und schrägen Blockflöten. Man kann sich nun in Deutungsversuchen verlieren, die Texte sezieren und interpretieren – den „Goldis“ ist das wahrscheinlich ziemlich egal. Sie sind längst erhaben über Schubladen und Bedeutungszuweisungen, als Referenzen taugen am ehesten sie selber. Dabei gibt es in Kameruns Texten, natürlich, viel entdecken!


Doch auch wer sich einfach nur auf die Wirkung der Musik einlässt, macht alles richtig: Der Lärm, das fröhliche Zulassen von Dissonanz, der Spaß an der Dekonstruktion von Harmonien – selten war das so mitreißend wie bei den Goldenen Zitronen.


Randy Hansen im Jovel - Jimi Hendrix Reloaded





Nachtrag - Patrick Wolf im Gleis 22


Mädchen kreischen hysterisch und sind außer sich, Jungs reißen begeistert die Hände in die Luft und tanzen, so gut es auf dem engen Raum eben geht. Es ist heiß, das Gedränge ist groß, die Blitze der Digitalkameras sind im Dauereinsatz. Im Publikum stehen Punks neben jungen Studentinnen mit Handtäschchen, hier und da sticht ein glitzerndes, grell leuchtendes modisches Relikt aus den Achtzigern aus der Menge hervor – selten ist das Publikum im Gleis 22 so durchmischt wie am Dienstagabend.

Verantwortlich für den Andrang und die Begeisterung ist der gerade mal 26-jährige Patrick Wolf. In seinen jungen Jahren hat er bereits vier Alben auf dem Konto und wird längst als veritabler Nachfolger von David Bowie gehandelt. Dessen Spiel mit uneindeutigen sexuellen Rollen, dessen musikalische Wandelbarkeit und exzentrische Selbstinszenierung hat Wolf verinnerlicht und neu belebt. Für sein neues Album hat er erstmals mit anderen Musikern zusammengearbeitet, auf Tour begleitet ihn eine vierköpfige Band.

Doch auf der Bühne ist er der absolute Mittelpunkt und seine Musiker nicht mehr als Erfüllungsgehilfen. Immer wieder weist er den Mischer an, die Lautstärke minimal anzupassen – Wolf ist Perfektionist bis ins kleinste Detail, und er beherrscht auch die Kunst der Inszenierung perfekt: Exotisch geschminkt, mit gestreiftem Umhang und schwarzer Kunststoff-Federboa tritt er auf, nimmt seinen Platz in der Bühnenmitte ein und hebt beschwörend die Arme. Eindrucksvoll seine tiefe Stimme, wehmütig sein Blick, theatralisch seine Gesten – alle Augen sind jetzt auf ihn gerichtet.

Doch der erhabene Prediger ist nur eine seiner vielen Rollen: in den folgenden 90 Konzertminuten spielt Wolf den Glam-Rocker genauso überzeugend wie den sensiblen Barden, gibt sich mal verletzlich und introvertiert und mal als exzentrische Rampensau. Seine Musik vereint den Synthiepop und die Ästhetik der 80er Jahre mit Heavy Metal und Hard Rock, gibt den stampfenden Dancebeats von „Vulture“ genauso eine Berechtigung wie dem naiven Pop von „Magic Position“.

Patrick Wolf bewegt sich damit gekonnt jenseits von Genre- und Geschmacksgrenzen und vereint all die vermeintlichen Widersprüchlichkeiten um seine Musik und seine Person zum schillernden Gesamtbild eines exzentrischen Popstars, einer Kunstfigur jenseits der Norm, die sich musikalisch, stilistisch und sexuell nicht festlegen lässt.